Prophylaxe – ein Beitrag gegen Alzheimer und M. Parkinson
Parodontitis und neurodegenerative Erkrankungen
Entzündungen wie Gingivitis und Parodontitis sind in erster Linie die Folgen einer schwerwiegenden Destabilisierung des oralen Mikrobioms. Veränderungen in der Zusammensetzung der komplexen oralen Mikroflora und deren Interaktion mit den Geweben der Mundhöhle führen zu einer Veränderung des oralen Mikroklimas und damit zu einem Switch in Richtung erheblicher Pathogenität des Keimspektrums. Entstehung und Progression der chronischen Entzündungen von Mundschleimhaut und Zahnhalteapparat werden zusätzlich durch zahlreiche weitere exo- und endogene Faktoren getriggert.
Konsumierende Grunderkrankungen, Störungen des Stoffwechsels und der lokalen und systemischen Immunabwehr sowie Nebenwirkungen notwendiger Dauermedikationen beeinflussen in vielfältiger Weise das orale Milieu, welches seinerseits in hohem Ausmaß auf den Gesamtorganismus zurückwirkt. Durch Atmung und Nahrungsaufnahme stellt die Mundhöhle eine exponierte und offene Verbindung zwischen Umwelt und Körper dar. Bei nachhaltiger Störung des ökologischen Gleichgewichts wird die Biofilmbildung potenziell pathogener Keime begünstigt. Im Schutz einer extrazellulären Matrix finden diese in den Zahnfleischtaschen und an unregelmäßig konfigurierten Oberflächen wie rauem Zahnschmelz und der Zunge ideale Lebensbedingungen und geeignete ökologische Nischen vor. Gramnegative anaerobe und fakultativ anaerobe Keime sowie auch atypische Erreger wie Enterobakterien (Abb. 1) nehmen überhand und können mittels ihrer potenten Virulenzfaktoren inadäquate und überschießende Immunreaktionen auslösen, die sich letztlich gegen unsere körpereigenen Gewebe richten. Die massive Ausschüttung von entzündungsaktivierenden Gewebshormonen als Antwort auf den bakteriell verursachten oxidativen Stress bewirkt Schwellung, Rötung, Abbau von Bindegewebe und Aktivierung von Fresszellen, wie Osteoklasten, die den Alveolarknochen angreifen und zerstören.
Orale Entzündungen haben systemische Wirkung
Die Auswirkungen parodontaler Entzündungen sind aber keineswegs nur auf die Mundhöhle begrenzt. Vulnerables, blutendes Zahnfleisch ermöglicht vielen Keimen, in tiefere Gewebeschichten und in kleine Gefäße einzudringen. Es kommt zu einer Bakteriämie mit gleichzeitiger Einschwemmung von Entzündungsmediatoren in das periphere Blut und damit in den restlichen Körper (Abb. 2). Erkrankungen der Mundhöhle und des gesamten menschlichen Systems stehen deshalb fast immer in bidirektionaler Beziehung.
Die Interaktionen oraler Infektionen mit dem zentralen Nervensystem war in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher Studien.1,2 Die Erforschung und Abklärung der Risikofaktoren wie der Alzheimerkrankheit ist schon aufgrund ihrer Häufigkeit mit weltweit über 24 Millionen Betroffenen von großem gesellschaftlichem Interesse. Während nur ein kleiner Teil der Erkrankten genetische Risikofaktoren (derzeit sind drei Genmutationen bekannt) aufweist, werden beim weit häufigeren sporadischen Typ unterschiedliche Ursachen, wie Diabetes, Bluthochdruck, Rauchen, Schadstoffbelastung und Übergewicht, diskutiert.
Neurodegeneration als Folge parodontaler Entzündung
Allerdings zeigen neue Untersuchungen einen hoch signifikanten Zusammenhang mit chronisch entzündlichen Prozessen und dem damit verbundenen erhöhten Level an Entzündungsbotenstoffen.3,4 Beim Morbus Alzheimer (M. Alzheimer) werden Parenchymzellen im Gehirn, die sogenannte Mikroglia, aktiviert. Mikrogliazellen gehören zu den Makrophagen und sind somit eine Komponente der Immunabwehr. Typischerweise kommt es beim M. Alzheimer zur Bildung von Alzheimerfibrillen aus Tau-Protein und zur Ablagerung von Plaques aus extrazellulärem Amyloid, einem Komplex aus Eiweiß und Kohlenhydraten. Durch diese Faktoren wird die lokale Produktion von Entzündungsmediatoren wie Interleukinen, Tumornekrosefaktor (TNF-α) und C-reaktivem Protein (CRP) aktiviert, was rückkoppelnd wiederum die weitere Bildung von Amyloid und Alzheimerfibrillen induziert.5,6
Bei einer über Jahre hindurch bestehenden bakteriell verursachten Entzündung wie einer floriden Parodontitis (Abb. 3) werden ständig Entzündungsbotenstoffe in das Blut der betroffenen Patienten freigesetzt. Diese proinflammatorischen Moleküle werden darüber hinaus auch direkt entlang des Nervus trigeminus zum zentralen Nervensystem transportiert. Im Gehirn verstärken sie die bei der Alzheimerdemenz vorbestehende entzündliche Reaktion und führen zu einer massiven Progression der Erkrankung.7
Porphyromonas gingivalis – ein Schlüsselkeim der Alzheimerdemenz
Neben der hohen systemischen Entzündungsbereitschaft können auch parodontal pathogene Keime direkt Einfluss auf Entstehung und Fortschreiten der Alzheimerdemenz nehmen.8 Bei Parodontitis mit entsprechender Keimbelastung kommt es laufend zu zumindest passageren Bakteriämien. Durch die Entzündung im ZNS wird die Blut-Hirn-Schranke für diese Keime passierbar. Bei Untersuchungen der Gehirne verstorbener Alzheimerpatienten konnten mittels PCR-Analyse mehrere typische Parodontalkeime identifiziert werden.9,10 Unter anderem waren Porphyromonas gingivalis (P. gingivalis), Treponema denticola, Fusobacterium nucleatum und Aggregatibacter actinomycetemcomitans nachweisbar. P. gingivalis, der, im Hinblick auf Neurodegeneration, wohl bestuntersuchte orale Keim, verfügt über eine Reihe potenter Virulenzfaktoren, u. a. über sogenannte Gingipaine. Dies sind eiweißabbauende Enzyme, welche direkt die Synthese von Komponenten der Alzheimerfibrillen fördern. Durch Hemmung der Vermehrung von P. gingivalis konnten im Tierversuch neurodegenerative Prozesse stark reduziert bzw. verlangsamt werden.
Xerostomie – autonome Manifestation des Morbus Parkinson
In ähnlicher Weise wie bei der Alzheimerkrankheit spielen auch beim Morbus Parkinson (MP) chronisch entzündliche Parodontalerkrankungen eine wichtige Rolle.11 Beim MP kommt es durch eine Degeneration der Nervenzellen zu den typischen Symptomen, wie Mobilitätsstörungen (Muskelzittern, Instabilität der Körperhaltung, Hypokinesie bis zur Bewegungsunfähigkeit und Muskelstarre), Depression, Müdigkeit, Apathie und kognitiven Einschränkungen. Betroffen sind die Zellen der „schwarzen Substanz“ im Gehirn, welche Dopamin produzieren. Durch die zu geringe Produktion dieses Neurotransmitters werden die Basalganglien im Großhirn nicht ausreichend stimuliert und es kommt zu den typischen Beeinträchtigungen der Bewegungsabläufe. Die negativen Auswirkungen der Parkinsonkrankheit auf die Mundgesundheit sind zum Teil auf diese Einschränkungen zurückzuführen.12 Die mangelnde Feinmotorik erschwert eine effektive Zahnreinigung und durch die zusätzlichen psychischen Symptome ist häufig auch der Antrieb gestört. Viele Parkinsonpatienten leiden an ausgeprägter Xerostomie mit massivem Brennen der Mundschleimhaut (Burning-Mouth-Syndrome, Abb. 4). Durch motorische Schluckstörungen und mangelnden Lippenschluss kommt es besonders in der Nacht zu unkontrolliertem Speichelaustritt aus dem Mund. Gleichzeitig wird aber als autonome Manifestation der Krankheit insgesamt zu wenig Speichel gebildet. Der niedrige Dopaminspiegel ist mit der Mundtrockenheit unmittelbar korreliert. Verstärkt wird die Hyposalivation durch Medikamente wie Antidepressiva und Anticholinergika, welche gegen die häufigen Komorbiditäten der Parkinsonkrankheit eingesetzt werden. Wenig Speichel bedeutet aber mangelnde Pufferwirkung mit Veränderungen des intraoralen pH-Werts und Mangel an immunologisch wirksamen Speichelinhaltsstoffen. Die Folgen sind vermehrte Karies und eine Verschiebung innerhalb des oralen Keimspektrums in Richtung einer parodontalpathogenen Plaque (Abb. 5).13,14
Oxidativer Stress zerstört dopaminbildende Nervenzellen
Die Komposition des oralen Mikrobioms eines Parkinsonpatienten unterscheidet sich deutlich von jener bei neurologisch gesunden. Ähnlich wie auch bei der Alzheimerkrankheit werden durch die Virulenzfaktoren der gramnegativen anaeroben Bakterien die Entzündungsmediatoren hochreguliert (Abb. 6).15 Die Lipopolysaccharide in den Zellwänden dieser Keime führen zu einem Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke. Es werden reaktive Sauerstoffradikale (ROS) gebildet, welche dann die dopaminergen Neurone angreifen und zerstören. Vorbestehende Parkinsonerkrankungen nehmen dadurch einen rascheren und fulminanteren Verlauf. Personen mit manifester, unbehandelter Parodontitis haben neuen Forschungen zu Folge ein 1,5-fach erhöhtes Risiko, an M. Parkinson zu erkranken.Patienten mit neurodegenerativen Krankheiten bedürfen intensiver und individuell angepasster zahnmedizinischer Prophylaxe und Behandlung. Nicht selten wird bei den betroffenen Personen sowohl von Angehörigen als auch in Pflegeeinrichtungen die Mundgesundheit stark vernachlässigt.16,17 Einschränkungen der Kaufunktion bedeuten aber eine weitere Minderung der Lebensqualität der Patienten. Durch die Muskelrigidität ist bei Parkinsonkranken die Kiefer- und Zungenbeweglichkeit eingeschränkt. Weiche und damit meist auch kohlenhydratreiche Nahrung wird der Einfachheit halber bevorzugt. Dies fördert aber die Selektion einer kariogenen Mikroflora. Ernährungsberatung und an die körperliche und kognitive Verfassung der Erkrankten angepasste Unterweisungen in Techniken der Zahnreinigung sollten sowohl den Patienten als auch den Pflegenden vermittelt werden. Regelmäßige professionelle Mundhygiene verhindert die Plaqueakkumulation und damit die Entstehung von oralen Entzündungen und Karies.
Der Beitrag ist im Prophylaxe Journal erschienen.
Quelle des Beitrags: https://www.zwp-online.info/fachgebiete/prophylaxe/parodontologie/prophylaxe-ein-beitrag-gegen-alzheimerdemenz-und-m-parkinson